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Ein Schwein macht Lokalgeschichte!
Als im Jahre 1929 einem Bauern in Westeremstek wegen einer Steuerschuld ein kastrierter Eber – ein Eberborg – gepfändet wurde, gab es im Dorf Sevelten bei Cloppenburg einen regelrechten – wenn auch fast schon subtilen – Bauernaufstand.
Erstaunlicherweise fand sich damals weder bei der ersten noch bei der zweiten Versteigerung des Schweins ein Käufer. Einen Viehhändler, der wohl gekauft hätte, ließen unmissverständliche Drohungen von seinem Angebot zurücktreten. Bäuerliche Standesverbundenheit und Staatsverdrossenheit angesichts unzulänglicher Hilfe für die Landwirtschaft mögen zu diesem Verhalten geführt haben. Die Deutung der genauen Hintergründe für diese Geschichte ist selbst unter Historikern umstritten.
Schließlich erstand ein Amtsschreiber den Eberborg und ließ ihn auf den elterlichen Hof in Sevelten schaffen. Über diesen „Verrat“ an der gemeinsamen bäuerlichen Sache empört, zogen am nächsten Abend Dutzende, Männer und junge Burschen, unter dem Läuten der Kirchenglocken zu eben diesem Hof. Sie entführten gewaltsam den Eberborg und brachten ihn triumphierend seinem ehemaligen Eigentümer zurück.
Die staatlichen Behörden sahen solcher Provokation nicht tatenlos zu. Die „Rädelsführer“, aktive Vertreter der damals ebenso rührigen wie erfolgreichen Protestbewegung des „Landvolks“, wurden festgenommen. Diese Verhaftung löste unter den Bauern einen Sturm der Entrüstung aus, der auch die hohe Politik erfasste. Auf einer Sondersitzung des Landtags sprach der oldenburgische Ministerpräsident von einer „Untergrabung der Staatsautorität“.
Im Eberborg-Prozess in Oldenburg 1930 schwiegen sich die Angeklagten und Zeugen aus. Dennoch reichten die Beweise, sie zu verurteilen. Die verhängten Freiheitsstrafen wurden indes nie verbüßt, die Geldstrafen größtenteils gestundet und später aufgehoben. Eine jubelnde Menge empfing in Cloppenburg die aus der Haft entlassenen. Die Bauern fühlten sich als Sieger im Kampf gegen Staatsgewalt.
August Hinrichs verarbeitete wenig später die abgewandelte Geschichte in dem Stück „Krach um Jolanthe“ bzw. „Swienskummedi“ (Anm.: Schweinskomödie) und traf damals mit den Aufführungen den Geschmack seiner Zeit.
Text: Bernd Tabeling | Heimatverein Cloppenburg
Plattddeutsche Fassung: Heinrich Siefer | Kath. Akademie Stapelfeld
Sprecher Hochdeutsch und Plattdeutsch: Heinrich Siefer | Kath. Akademie Stapelfeld
Weitere Literatur:
– Zumholz, Maria Anna (Hg.) (2012): „Krach um Jolanthe“. Krise und Revolte in einer agrarisch-katholischen Region 1929 – 1930 und der Konflikt um die Deutungs- und Erinnerungskultur. Münster: Aschendorff.
Presseberichte:
– Kaiser, Heinrich (2006): Historiker deuten Brunnen neu. Forscher und Heimatverein wollen Eberborg-Bronze als Mahnmal betexten. In: Münsterländische Tageszeitung, 24.03.2006.
– Meier, Bodo (2006): Neue Inschrift am Eberborg-Denkmal. Historische Auseinandersetzung neu bewertet – Cloppenburger Heimatverein wird tätig. In: Nordwest Zeitung, 24.03.2006.