Audiobeitrag Hochdeutsch:
„Ich kann mich nicht vor der Wahrheit drücken“
Ernst Henn (1909 – 1945) ist eine Cloppenburger Persönlichkeit, die während der Unrechtsherrschaft der Nazis mutig gegen die Menschen verachtenden Machenschaften des NS-Regimes eingetreten ist. Im März 1927 – gerade 18 Jahre alt geworden – bestand er am Staatlichen Realgymnasium in Cloppenburg (heute Clemens-August-Gymnasium) mit Bravour das Abitur als Jahrgangsbester und studierte anschließend in Münster Theologie. Am 17. Dezember 1932 empfing er dort die Priesterweihe und trat am 9. Januar 1933, drei Wochen vor Hitlers Machtantritt, seine erste Stelle als Kaplan in Cloppenburg an.
Die Unrechtsstrukturen des nationalsozialistischen Machtregimes wurden zu einer besonderen Herausforderung an Henns Gottes- und Menschenliebe. Zeitzeugen berichten, dass Henn bald nach Beginn der Naziherrschaft in seinen Sonntagspredigten Stellung bezog, zunächst raffiniert verschlüsselt und später deutlich anklagend. Die Folge war, dass er oft unverzüglich, spätestens am Montagmorgen beim NS-Ortsgruppenleiter antreten musste. Je öfter das geschah, desto bedrohlicher wurde die Lage für ihn. Schon bald war er den NS-Machthabern kein Unbekannter mehr, sondern ein unbequemer, gefährlicher Mahner. So kam es schon in den ersten Jahren der Nazi-Herrschaft zu Anzeigen, Verhören, Verwarnungen und Haftandrohungen durch die Gestapo und die Ministerien, z.B. Minister Pauly.
Zum gefährlichen Höhepunkt wurde Henns Predigt, mit der er die Verbrechen in der Reichspogromnacht 1938 (9./10. November) anprangerte. Über den Generalstaatsanwalt in Oldenburg wurde vom Reichsminister der Justiz in Berlin die Strafverfolgung angeordnet. Überraschenderweise zog dieser die Anordnung zurück und ordnete an, „das Verfahren mangels Beweises einzustellen“. (Experten vermuten, dass dies aus Angst vor einem Widerstand der Südoldenburger Bevölkerung geschah – ähnlich wie beim Kreuzkampf 1936.)
Kaplan Henn wurde daraufhin von Cloppenburg nach Dinklage versetzt und 1940 von dort als Sanitäter zum Heeresdienst einberufen, ab 1941 an die Ostfront nach Russland. Ende 1942 kam er wegen seines stark angeschlagenen Gesundheitszustands ins Lazarett nach Vechta. Im November 1943 trat er in der Pfarrei St. Vitus in Löningen seinen Dienst als Vikar an. Sowohl aus seiner Zeit in Dinklage als auch in Löningen ist bekannt, dass er weiterhin mutig und unter großer Gefahr die Menschen verachtenden Unrechtstaten des NS-Regimes anprangerte und seiner Überzeugung treu blieb: „Ich kann mich nicht vor der Wahrheit drücken, auch wenn es mich das Leben kostet.“ Am 11. April 1945, kurz vor Kriegsende, wurde Vikar Henn beim Einzug der Alliierten tödlich von Granatsplittern getroffen, als er die weiße Fahne hisste. Ein englischer Offizier erklärte: Wenn die weiße Fahne nicht gewesen wäre, hätten die Panzer aus nächster Nähe vor Löningen noch einmal das Feuer eröffnet. So hat Vikar Henn durch seinen mutigen Einsatz Löningen und besonders das Krankenhaus gerettet.
Text: Werner Nilles
Sprecher Hochdeutsch: Werner Nilles
Literatur:
– Nilles, Werner (2019): Ich kann mich nicht vor der Wahrheit drücken. Vikar Ernst Henn (1909-1945). Priester in der Zeit des Nationalsozialismus. Ergänzte und überarbeitete Neuauflage [Erstauflage von 2015]. Münster: Dialog-Medien und Emmaus-Reisen. Erhältlich über die Buchhandlung Terwelp sowie das Forum der katholischen Kirchengemeinde St. Andreas in Cloppenburg, Sevelter Str. 4.